Kürzlich hatte der LEV Gelegenheit, auf Initiative der Stadt Walldorf an einer Betriebsführung beim Saatguthersteller Rieger-Hofmann GmbH teilzunehmen – einer der großen Namen, wenn es um Regio-Saatgut geht. Ernst Rieger selbst stellte den Familienbetrieb in Blaufelden, landschaftlich reizvoll in der Nähe der Jagst gelegen, vor. Man merkt ihm an, dass er mit Leib und Seele dabei ist. Die Firma begann als normaler landwirtschaftlicher Betrieb, baute dann Arzneipflanzen an, aber beschäftigt sich inzwischen bereits in dritter Generation mit einem noch spezielleren Thema – der Vermehrung von Wildpflanzen.
Viele Wildpflanzen haben ein großes Verbreitungsgebiet, doch die Exemplare beispielsweise des Südwestdeutschen Berglandes unterscheiden sich etwas von denen anderer Gegenden. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz soll diese genetische Vielfalt, mit der sich die Pflanzen an ihre jeweiligen Herkunftsregionen angepasst haben, erhalten werden. Deshalb dürfen in der freien Landschaft ohne Genehmigung nur gebietsheimische Arten aus zertifiziertem Anbau ausgebracht werden (Ausnahmen gibt es für Land- und Forstwirtschaft). Der Begriff „gebietsheimisch“ ist nicht zu verwechseln mit der weiter gefassten Bezeichnung „einheimisch“, die sich auf ganz Deutschland bezieht. Im Gartencenter sind solche Sämereien nicht erhältlich – dafür sind Spezialisten gefragt.
Die Rieger-Hofmann GmbH und ihre 90 Partnerbetriebe sammeln, natürlich behördlich genehmigt, deutschlandweit Saatgut von Wildpflanzen in den 22 definierten Ursprungsgebieten. Daraus werden dort Pflanzen gezogen, deren Samen gewonnen und verkauft. Die Firma baut sage und schreibe über 400 Arten an, die als Einzelsaaten oder in 80 Standard-Mischungen zu haben sind. Neue Geschäftsfelder sind Spezialmischungen für Freiflächen-Fotovoltaik oder Retentionsflächen. Der Verkauf erfolgt bewusst nur im Direktvertrieb; ob grammweise oder im 20 kg-Sack. Damit deckt Rieger-Hofmann nach eigenen Angaben ca. die Hälfte des deutschlandweiten Bedarfs ab. Fachkundige, individuelle Beratung gehört dazu.

Anbauflächen verschiedener gebietsheimischer Wildpflanzen
Kunden sind vor allem Kommunen, Behörden, Landschaftserhaltungsverbände und Naturschutzorganisationen. Sie begrünen Flächen etwa beim Straßenbau, im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen oder Renaturierungsprojekten. Landwirte bestellen Saatgut zur Förderung der Biodiversität, beispielsweise für Blühstreifen. Aber auch Firmen und Privatkunden, welche die heimische Flora und Fauna unterstützen möchten, zählen zum Kundenkreis.
Diese Vielzahl an Arten anzubauen und damit artenreines Saatgut zu produzieren, erfordert immenses Fachwissen. Es ist enorm zeitaufwändig, nur mit viel Handarbeit möglich und auch technisch eine Herausforderung. Manche Arten müssen zu ganz bestimmten Tageszeiten, mit speziellen Methoden oder je nach Samenreife mehrmals beerntet werden. Da können bis zu 3000 Arbeitsstunden pro ha zusammenkommen, erläutert Ernst Rieger. Permanentes Beobachten, Anpassen und Optimieren seien nötig, etwa in der so wichtigen Beikrautregulierung. „Man muss den Pflanzen täglich guten Morgen und guten Abend sagen!“, scherzt Rieger beim Gang über die bunten Anbauflächen und durch die Gewächshäuser.

Herr Rieger an einer Anbaufläche
Herausforderungen werden nach Möglichkeit selbst und pragmatisch gelöst. So sind zahlreiche Sondermaschinen Marke „Eigenbau“ zur Pflanzenkultur, Ernte und Trocknung im Einsatz. Wo nötig, wird aber mit modernster Technik gearbeitet, etwa bei der z. T. KI-gestützten Reinigung des Saatguts. Auch Kühlhäuser gehören zum Betrieb, denn die Lagerung bei artspezifisch optimaler Temperatur ist Voraussetzung dafür, dass das gebietsheimische Saatgut später gut keimt. So sorgt auch manches Projekt des LEV dank Regio-Saatgut für blühende Landschaften und den Erhalt der natürlichen Vielfalt.